Carespektive Infothek
Intransparenz auf dem Markt für
Altersvorsorge durch die Verwendung
unterschiedlicher Sterbetafeln
Im Bereich der privaten
wie der betrieblichen Altersvorsorge
werden Sterbetafeln verwendet mit deren
Hilfe die Versicherungstarife kalkuliert
werden. Wird dem Versicherungsnehmer die
Auszahlung des angesparten Kapitals im
Alter im Wege eines Auszahlungsplans
angeboten, hängt der bei
Vertragsschluss in Aussicht gestellte
monatliche Zahlbetrag davon ab, mit
welcher durchschnittlichen
Lebenserwartung der Versicherer
kalkuliert. Somit hängt auch die
monatliche Prämie zum Erreichen eines
bestimmten Rentenzahlbetrages von der
durch die Sterbetafeln prognostizierten
Lebenserwartung des
Versichertenbestandes ab. Die Verwendung
von Sterbetafeln ist also elementar für
die Tarifkalkulation des Versicherers.
Problematisch ist der
Umstand, dass Versorgungseinrichtungen
und Versicherungsunternehmen ihrer
Tarifkalkulation verschiedene
Sterbetafeln zugrundelegen. So werden z.
B. die Heubeck-Tafeln traditionell von
der VBL genutzt, die Tafeln der
Deutschen Aktuarsvereinigung (DAV) von
privaten Versicherern. Im Bereich der
betrieblichen Altersvorsorge werden von
den Pensionskassen ganz unterschiedliche
Sterbetafeln benutzt, die jeweils noch
besonders modifiziert werden. Dieser
Sachverhalt gewinnt in letzter Zeit
verstärkt an Brisanz. (Vgl. die Studie
„Vorsorgender Verbraucherschutz in der
betrieblichen und privaten
Altersvorsorge“ vom Bundesverband
Verbraucherzentrale e.V., Mai 2005, S.
38 ff. (39); siehe auch Beitrag in
Portfolio institutionell, Mai 2005, S. 6
ff.) Ein Grund für die zunehmende
Bedeutung der Sterbetafeln ist der
Anstieg der durchschnittlichen
Lebenserwartung und die Unsicherheit
bezüglich des weiteren Trends:
Die aktuelle
Sterbetafel DAV 04 R geht auch für die
Zukunft von einem extremen Anstieg der
Lebenserwartung aus. So wird für einen
Mann des Jahrgangs 1975 prognostiziert,
dass dieser mit 65 Jahren (im Jahre
2035) davon ausgehen kann, noch 30 Jahre
zu leben. Diese Prognose (auch wenn sie
mit einer Sicherheitsmarge versehen ist)
übertrifft die Erwartungen der
Rürup-Kommission um über 10 Jahre.
(Bericht der Rürup-Kommission, S. 6.)
Aufgrund dieser Annahmen hat sich die
BaFin in einem Schreiben vom Januar 2005
veranlasst gesehen, darauf hinzuweisen,
dass sie die Sicherheitsmargen zu der
Neubewertung der heutigen
Rentenversicherungsbestände für
„vorsichtiger als erforderlich“ hält.
Die Aufsichtsbehörde
schlägt deshalb vor, zur Neubewertung
der Bestände eine modifizierte
Sterbetafel zu verwenden, die von einer
Trenddämpfung bei der
Sterblichkeitsverbesserung ausgeht.
(Vgl. VerBaFin 1/2005, S. 4.) Mitte des
Jahres werden auch neue Sterbetafeln von
Heubeck erscheinen. Die bisherigen
Heubecktafeln weisen zu den DAV-Tafeln
ganz erhebliche Unterschiede auf: So
kalkulieren die Heubeck-Richttafeln von
1998 mit einer durchschnittlichen
ferneren Lebenserwartung 65 jähriger
Männer von lediglich 16,5 Jahren.
Die Verwendung
unterschiedlicher Sterbetafeln führt zu
unterschiedlichen Tarifen: Die
Versicherer, die mit einer geringeren
Lebenserwartung ihres Versicherten
kalkulieren, können günstigere Tarife
anbieten und umgekehrt. In den
allgemeinen Versicherungsbedingungen ist
zwar die vom Versicherer verwendete
Sterbetafel genannt. Es entzieht sich
allerdings regelmäßig der Kenntnis des
Versicherungsnehmers, welche Bedeutung
die jeweilige Sterbetafel für den Tarif
hat und wie sich die Leistungen bei
anderen Sterbewahrscheinlichkeiten
entwickeln. Dies wiederum erschwert ihm
den Vergleich zwischen den Produkten der
verschiedenen Anbieter von
Versicherungsleistungen. Der Kunde wird
sich voraussichtlich für einen günstigen
Tarif entscheiden, der ihm z. B. eine
hohe Überschussbeteiligung und hohe
monatliche Rentenzahlungen in Aussicht
stellt bei vergleichsweise niedrigen
Prämien.
Steigt nun die Lebenserwartung in einem
erheblicheren Maße als der Versicherer
kalkuliert hat, dann muss er zunächst
die Rückstellungen für die Altbestände
aufstocken. Die gegenüber dem neuen
Kunden in Aussicht gestellten
Leistungen, wie prognostizierte
monatliche Rentenzahlungen oder
Überschussbeteiligungen sinken. Sind die
Leistungen nicht garantiert (wie die
Überschussbeteiligungen), ist für die
Anpassung nicht die Zustimmung der
Aufsichtsbehörde erforderlich. Dass der
vom Versicherungsnehmer gewählte Tarif
besonders auf den ersten Blick günstig
erscheint, resultiert also in diesem
Fall nicht aus der Leistung des
Versicherers, z. B. die Erzielung hoher
Renditen und niedriger
Verwaltungskosten, sondern aus der
Verwendung bestimmter Sterbetafeln.
Ein funktionierender
Markt für Altersvorsorgeprodukte
zeichnet sich dadurch aus, dass die
Anbieter in einem Wettbewerb zueinander
stehen, der aufgrund ihrer Leistungen
entschieden wird. Dabei ist es seitens
der Versicherer grundsätzlich
vernünftig, vorsichtig zu kalkulieren,
also Sterbetafeln zu verwenden, die von
einem höheren Anstieg der
Lebenserwartung ausgehen als dies
vielleicht tatsächlich eintreten wird.
Aus den Gesichtspunkten der Transparenz
auf dem aktuell sehr unübersichtlichen
Markt für Altersvorsorgeprodukte scheint
es aber erforderlich zu sein,
Vorschriften hinsichtlich der Verwendung
einheitlicher Sterbetafeln zu
entwickeln. Damit würde dem potentiellen
Versicherungsnehmer eine bessere
Vergleichbarkeit der verschiedenen
Produkte ermöglicht und der Wettbewerb
zwischen den Anbietern verstärkt.
Quelle:
nestor-Forschungsinstitut, Berlin, Juli
2005